Der Zwischenraum zwischen Palasgewölbe und Ringmauer in der Burg Angern – Bauarchäologische Analyse und funktionale Deutung: Die hochmittelalterliche Wasserburg Angern in der Altmark weist eine bemerkenswerte strukturelle Besonderheit auf: Zwischen dem nördlichsten erhaltenen Tonnengewölbe im Palasbereich der Hauptburg und der nördlichen Ringmauer besteht ein etwa 4 Meter breiter Raum, der weder unterkellert noch gewölbt ist. Dieser Zwischenraum, der deutlich breiter ist als die übliche Mauerstärke der Ringmauer, wirft Fragen nach seiner bauzeitlichen Funktion, Erschließung und historischen Entwicklung auf.
Baulicher Befund
Das nördlichste Gewölbe des Palas endet klar vor der nördlichen Außenmauer der Hauptburg. Die dazwischenliegende Zone misst ca. 4 Meter und weist keinerlei Maueranschlüsse, Fundamentreste oder Spuren einer Gewöbeverlängerung auf. Auch fehlen Hinweise auf Fensteröffnungen, Lüftungsschächte oder Zugänge aus dem Gewöberaum heraus. Somit kann eine funktionale Verbindung zu diesem Raum ausgeschlossen werden.
Funktionale Deutung
Die bauliche Trennung legt nahe, dass dieser Zwischenraum nicht als Teil des Palas, sondern als dienende oder trennende Zone konzipiert war. Die Breite von ca. 4 Metern übertrifft deutlich die typische Mauerstärke mittelalterlicher Ringmauern und spricht für eine gezielte Freihaltung dieses Bereichs. Mehrere Nutzungsansätze sind plausibel:
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Erschließungsgang: Der Zwischenraum könnte als ebenerdiger, nicht überwölbter Gang zwischen Palas und Ringmauer gedient haben. Solche Gänge waren in Burgen des 13. und 14. Jahrhunderts oft aus Holz konstruiert oder mit leichten Überdachungen versehen. Sie erlaubten eine separate Bewegung von Personal oder Nachschubgütern entlang der Außenmauer, ohne die Wohnzone zu stören. Eine Erschließung des Wehrgangs über diesen Korridor wäre denkbar.
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Unbebauter Funktionspuffer: Alternativ diente der Raum als bauliche Trennzone zwischen dem repräsentativen Palas und der Wehrarchitektur. In vielen Anlagen wurde bewusst ein Abstand zwischen Wohngebäude und Ringmauer eingehalten, um Angriffe auf die Außenmauer nicht direkt auf den Wohnbereich zu übertragen. Die Breite des Zwischenraums wäre somit Ausdruck eines defensiven Bauprinzips.
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Nicht unterkellerter Oberbau: Es ist auch möglich, dass sich über dem Bereich ein aufgesetzter, nicht unterkellerter Baukörper befand. Dieser könnte aus Holz oder Fachwerk bestanden haben und wurde ggf. im Zuge der Zerstörung im 17. Jahrhundert vollständig entfernt. Die fehlende Fundamentierung würde in diesem Fall keine baulichen Spuren im heutigen Bestand hinterlassen.
Allen Modellen gemeinsam ist, dass die Zwischenzone nicht fester Bestandteil der eigentlichen Palasstruktur war, sondern einen eigenen funktionalen Kontext hatte. Die bauliche Trennung zum Gewöbe unterstreicht diese Deutung.
Vergleich mit regionalen Burgen
Vergleichsanlagen wie die Burgen Ziesar, Kalbe (Milde), Seehausen und Lenzen zeigen ähnliche Zwischenzonen zwischen Hauptbau und Ringmauer mit Breiten zwischen 3 und 4,5 Metern. In der Burg Ziesar ist ein abgewinkelter Verbindungsgang unterhalb des Haupttrakts nachgewiesen, der vom Küchenkeller zum Lagerbereich führt und durch seine abgewinkelte Führung direkte Sichtachsen vermeidet. Die Breite dieser Struktur entspricht etwa dem Befund in Angern. In der Burg Kalbe (Milde) wurde bei Ausgrabungen ein ebenerdiger, schmaler Korridor festgestellt, der zwischen Kellerwand und Außenmauer verlief und vermutlich eine dienende Erschließungsfunktion hatte. Auch dort war dieser Raum nicht gewölbt, sondern lediglich mit Holzbalken abgedeckt.
In Seehausen lassen sich anhand von Mauerresten vergleichbare Zwischenzonen rekonstruieren, die als Vorrats- oder Zugangsgänge fungierten. Die Burg Lenzen schließlich zeigt eine topografisch isolierte Turmeinheit, die durch eine hölzerne Brücke mit dem Hauptbau verbunden war. Auch hier existierten dienende Zwischenbereiche, die nicht Teil der repräsentativen Architektur waren, sondern funktionale Aufgaben erfüllten. Allen genannten Beispielen ist gemeinsam, dass Zwischenzonen bewusst als bauliche Puffer eingesetzt wurden, um die Trennung von Wohn-, Wehr- und Funktionsbereichen zu gewährleisten.
Abgrenzung gegenüber Gewölben
Entscheidend ist, dass der Zwischenraum in Angern keine Verbindung zum Gewöberaum aufweist. Dies schließt eine Nutzung als Licht- oder Belüftungshof aus. Auch eine übergreifende Raumfunktion kann ausgeschlossen werden. Die saubere bauliche Trennung bestätigt die Unabhängigkeit beider Zonen.
Südlicher Anschlussbereich des Palas
Auch die rechte (südliche) Seite des Palas zur Ringmauer hin war möglichrweise bauzeitlich nicht mit Gewöben unterbaut. Der Bereich zwischen dem Palas und der südlichen Ringmauer blieb vermutlich bewusst unbebaut oder war mit leichten, nicht unterkellerten Funktionsbauten besetzt. Diese Zone könnte als Erschließung zur Turmseite gedient haben oder den Zugang zu einer Brücke auf die Turminsel enthalten haben. In vergleichbaren Burgen (z. B. Kalbe, Lenzen) finden sich an solchen Stellen Werkhöfe, Lagerzonen oder Zwischenhöfe, die nicht baulich überformt waren. Der fehlende Gewöbeanschluss und die strukturelle Offenheit in Angern sprechen auch hier für eine funktional freigehaltene Zone.
Die Rolle der südöstlichen Ringmauer als trennendes Element
Zwischen dem südlichen Ende des Palas und dem Bereich gegenüber dem Bergfried auf der Turminsel verlief die südöstliche Ringmauer der Hauptburg. Diese stellte ein massives trennendes Element dar und schloss einen offenen Übergang aus. Eine Verbindung zur Turminsel konnte nur über einen Durchlass oder eine Brückenkonstruktion über oder durch die Mauer hinweg in den ersten Stock des Bergfrieds erfolgen. Da bisher keine gesicherte Toranlage in diesem Abschnitt nachgewiesen ist, bleibt offen, ob ein solcher Zugang bestand. Die barocke Brücke von 1738 wurde unabhängig von einer mittelalterlichen Erschließung errichtet und könnte eine neue Erschließungssituation geschaffen haben. Der südöstliche Freiraum der Hauptinsel war also kein ungehinderter Verbindungsbereich, sondern lag innerhalb der Wehrstruktur.
Zugang zur Turminsel und Erschließung des Bergfrieds
Ein direkter Zugang vom Hofniveau der Hauptinsel in das Erdgeschoss des Bergfrieds kann aufgrund des baulichen Befundes mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Der untere Bereich des Turms ist vollständig erhalten und weist an der betreffenden Stelle eine original mittelalterliche Schießscharte auf, sodass dort keine Tür existiert haben kann. Der Bergfried diente somit im Erdgeschoss ausschließlich defensiven Zwecken und war nicht von außen erschlossen.
Der Zugang zur Turminsel muss daher über eine separate Brückenkonstruktion erfolgt sein, die in ein höheres Geschoss des Bergfrieds oder in den Innenhof der Turminsel mündete. Das heute noch erhaltene Nebengebäude mit Tür zum Bergfried kann dabei ausgeschlossen werden, da es sich auf der dem Palas abgewandten Seite des Turms befindet. Eine Verbindung vom Palas über eine Brücke direkt zu diesem Nebengebäude ist daher baulich nicht möglich.
Wahrscheinlicher ist, dass die Brücke von einem zentralen oder südwestlichen Abschnitt der Hauptinsel ausging, die Ringmauer überquerte und auf den offenen Hofbereich der Turminsel führte. Dieses Prinzip ist aus vergleichbaren Anlagen bekannt und würde auch den strategischen Anforderungen eines kontrollierten Zugangs entsprechen. Ein gesicherter baulicher Nachweis dieser Brücke steht bislang jedoch aus.
Materialität der Brückenkonstruktion: Für die Zeit um 1340 ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer hölzernen Brückenkonstruktion auszugehen. Steinbrücken innerhalb von Wasserburgen waren im norddeutschen Raum des Hochmittelalters eine Seltenheit und kamen fast ausschließlich in späteren Bauphasen oder als repräsentative Hauptzugänge vor. Die Brücke zur Turminsel diente jedoch vorrangig funktionalen und strategischen Zwecken. Vergleichsanlagen wie Lenzen, Grube oder Burg Vischering belegen die weite Verbreitung von Holzbrücken – oft auf Pfählen ruhend oder mit klappbaren Elementen versehen, um die Verteidigung zu erleichtern. Auch in Angern fehlen Hinweise auf gemauerte Brückenreste aus der betreffenden Zeit. Das spricht eindeutig für eine leicht rückbaubare, alltagstaugliche Holzkonstruktion, wie sie im 14. Jahrhundert verbreitet war.
Fazit
Der Zwischenraum zwischen dem nördlichen Palasgewölbe und der Ringmauer der Burg Angern stellt ein eigenständiges architektonisches Element dar, das nicht Teil der Wohnarchitektur war, sondern einer funktionalen Gliederung diente. Seine deutliche bauliche Trennung vom Gewölbebereich sowie die Breite und Lage sprechen für eine Nutzung als Puffer- oder Erschließungszone. Der Palas nahm damit nicht die gesamte Ostseite der Hauptburg ein, sondern war seitlich von funktionsoffenen Randzonen begleitet. Auch der südliche Bereich der Hauptburg weist strukturelle Offenheit auf und zeigt, dass bauliche Enge bewusst vermieden wurde. Der Zugang zur Turminsel erfolgte nicht direkt vom Palas, sondern über eine hölzerne Brücke von einem zentraleren Bereich der Hauptinsel aus, wobei der Wehrturm nicht direkt erschlossen war. Diese Anlageform lässt sich durch regionale Vergleiche stützen und entspricht einem durchdachten hochmittelalterlichen Verteidigungs- und Nutzungskonzept.