Burg Angern
Die um 1341 gegründete Burg Angern bewahrt in seltener Geschlossenheit die originale Bau-, Erschließungs- und Verteidigungsstruktur einer hochmittelalterlichen Wasserburg und nimmt damit eine herausragende Stellung innerhalb der norddeutschen Burgenlandschaft ein.

Die östliche Außenwand des Palas der Burg Angern stellt einen bemerkenswerten architektonischen Befund dar. Mit einer Wandstärke von lediglich 90 cm weicht sie deutlich von der massiven Bauweise der übrigen Burgteile ab und lässt Rückschlüsse auf die funktionale Differenzierung innerhalb der Anlage zu. Als ursprünglicher Abschluss eines tonnengewölbten Raumes im Erdgeschoss gelegen, weist sie charakteristische Merkmale wirtschaftlich genutzter Bauabschnitte auf.

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Außenansicht der Fensteröffnung mit östlicher Außenmauer des Palas am nördlichen Gewölbe

Lage und Kontext: Der untersuchte Mauerabschnitt befindet sich an der östlichen Außenwand des Palas der Hauptburg Angern. Er bildet die Außenseite des nördlichen tonnengewölbten Kellerraums und ist sowohl auf einem historischen Schwarzweißfoto als auch durch aktuelle Innenaufnahmen dokumentiert.

Mauerbeschreibung: Die Wand besteht im unteren Bereich aus unregelmäßigem, lagerhaft gesetztem Bruchsteinmauerwerk, das aus lokaltypischem Material zusammengesetzt ist – überwiegend Granit- und Gneisgeröll, teils unbehauen, in Kalkmörtel gebunden. Die Steine sind meist grob gebrochen, ohne klare Schichthöhen, jedoch mit einem gewissen Horizontalbezug durch Mörtelbettungen. Einzelne Ausgleichslagen aus Backsteinfragmenten oder dünneren Feldsteinen deuten auf eine feinere Bearbeitung im oberen Drittel oder eine sekundäre Reparatur. Die Gewände sind unregelmäßig, innen mit starkem Putzüberzug und teilweise korrodierten Verankerungsspuren. Der Mörtel ist sandig-grob, in Teilen mit Kalkgrus und organischen Einschlüssen durchmischt. Außen ist der Bruchstein heute weitgehend freigelegt, während die Innenseite weiß überputzt ist. Die Mauerstärke beträgt durchgehend ca. 90 cm, was angesichts der funktionalen Einbindung in eine Gewölbekammer statisch sinnvoll erscheint. Im Übergang zur westlichen Anschlusswand (nach innen) sind deutliche Setzungen und ein Mauerwerksversatz erkennbar, möglicherweise infolge späterer Umbauten.

Baubefund und Deutung: Die Mauer fungierte als Außenwange eines tonnengewölbten Erdgeschossraums und war nicht Teil der wehrhaften Ringmauerstruktur. Die reduzierte Mauerstärke erklärt sich durch die statische Entlastung des Gewölbes und die Lage an der östlichen Rückseite der Hauptburg. Das vorhandene Fenster wurde mit großer Wahrscheinlichkeit bereits bauseitig im 14. Jahrhundert angelegt. Vergleichbare Lichtöffnungen in wirtschaftlich genutzten Erdgeschossen finden sich etwa in den Burgen Ziesar, Lenzen, Seehausen und Tangermünde. Auch dort waren Fenster in nicht primär verteidigten Bereichen üblich, um eine Grundbelichtung sicherzustellen. Die Fensterform mit Innenfassung spricht nicht gegen einen mittelalterlichen Ursprung, zumal keine typischen Anzeichen später barocker Aufbrüche vorhanden sind. Der Fall Angern ist vor allem dann aufschlussreich, wenn man ihn mit der Mauerstärke des Wehrturms auf der Südinsel vergleicht, die über 2,50 Meter beträgt. Diese Differenz dokumentiert die klare Trennung zwischen militärisch gesicherter Wehranlage und funktionalem Wohn- oder Wirtschaftsbau. Fenster in 90 cm starken Wänden waren unter diesen Bedingungen konstruktiv unproblematisch und architektonisch üblich – solange sie sich in räumlich geschützten Zonen der Burganlage befanden.

Bauhistorische Bewertung: Der Mauerabschnitt ist ein authentisches Element der hochmittelalterlichen Palasstruktur auf der Hauptburginsel von Angern. Die Kombination aus gewölbter Raumstruktur, bauseitig geplanter Lichtöffnung und reduzierter Mauerstärke zeigt eine funktional ausgelegte Bauweise, die im 14. Jahrhundert typisch für sekundäre Zonen hochmittelalterlicher Wasserburgen war.

Vergleichbare Beispiele: Die Fensteröffnung in der Ostwand des Palas von Angern lässt sich im bauhistorischen Kontext hochmittelalterlicher Burgen durchaus als bauseitig geplant einordnen. Ähnliche bauliche Konfigurationen – insbesondere in nicht repräsentativen oder rückwärtigen Zonen – finden sich auch in anderen Anlagen der Altmark und angrenzender Regionen.

  • Auf der Burg Ziesar (Brandenburg), deren Ursprünge ins 13. Jahrhundert zurückreichen, zeigt der Palas in den Erdgeschossen einzelner Seitenflügel Fensteröffnungen mit einfacher Laibung. Diese Räume dienten nachweislich wirtschaftlichen oder verwaltungstechnischen Zwecken. Die Wandstärken liegen dort teils unter einem Meter, insbesondere in nicht tragenden Rückwänden (ca. 85–100 cm), was Fensteröffnungen technisch zulässt und befördert.
  • Die Burg Lenzen (Prignitz), ebenfalls hochmittelalterlich, weist in den seitlichen Trakten des Palas Erdgeschossräume mit Fensteröffnungen auf, deren Laibungen sekundär verputzt, aber original eingebracht erscheinen. Die Wandstärken der Bruchsteinmauern betragen hier meist zwischen 80 und 95 cm, was dem Befund in Angern (90 cm) sehr nahekommt. Auch hier wurde der Raum nicht als Wehrgeschoss, sondern als Lager und Aufbewahrungsbereich genutzt.
  • In der Burg Seehausen (Altmark), die in ihrer heutigen Form auf einen Umbau des 14. Jahrhunderts zurückgeht, ist ein Palasflügel mit erhaltenem Erdgeschoss dokumentiert. Die Wandstärken liegen in den erhaltenen Bereichen zwischen 85 und 100 cm – auffällig schlank für eine Burganlage –, dennoch mit Lichtöffnungen zur östlichen Rückseite, vermutlich aus der Erbauungszeit. Diese Fenster wurden teils zur Belichtung von Verwaltungsräumen verwendet.
  • Die Burg Tangermünde zeigt in der älteren Bausubstanz (14. Jh.) eine stärkere Differenzierung: Während die Mauerstärken in den Hauptverteidigungsachsen deutlich über 1 m liegen, sind hofseitige oder rückwärtige Wände – insbesondere im Erdgeschoss des Palas – mit reduzierten Stärken zwischen 85 und 95 cm belegt. Fensteröffnungen dort dienten der Belichtung von Küchen, Wachstuben oder Magazinräumen.

Diese Beispiele belegen, dass Wandstärken unter einem Meter in wirtschaftlich genutzten Palaszonen hochmittelalterlicher Burgen keine Seltenheit sind und gezielt durch Fensteröffnungen unterbrochen werden konnten, sofern die Lage nicht zur Wehrseite gehörte. Im Fall von Angern sprechen die Materialität, die reduzierte Wandstärke und die funktionale Einbindung in das Erdgeschoss klar für eine originale, bauseitige Fensterlösung, die in der Baupraxis des 14. Jahrhunderts fest verankert war.

Bauphase des Ziegelmauerwerks im Erdgeschoss des Palas

Die Kombination aus außenliegendem Bruchsteinmauerwerk und innen sichtbarem Ziegelverband im östlichen Erdgeschoss des Palas auf der Hauptinsel der Burg Angern wirft Fragen nach der Entstehungszeit dieser Konstruktion auf. Angesichts der geringen Wandstärke von lediglich ca. 90 cm, der fehlenden Quellenbelege für bauliche Eingriffe im 18. Jahrhundert sowie der strukturellen Einbindung in ein mittelalterliches Tonnengewölbe stellt sich die Frage, ob es sich um ursprüngliche Substanz handelt oder um eine spätere Überformung nach dem Dreißigjährigen Krieg. Die archivalische Quellenlage spricht gegen eine barocke Überarbeitung: Für das Jahr 1738 sind umfangreiche Umbauten ausschließlich auf der Turminsel dokumentiert (Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 336). Ein zentraler Hinweis stammt aus der Dorfchronik Angern, die bereits im Jahr 1650 – also nur knapp zwei Jahrzehnte nach der Zerstörung von 1631 – folgendes vermerkt:

Eine Kirchenvisitation im Haus Heinrich von der Schulenburg wurde durchgeführt." ... „Dafür werden aber die vier Keller und der alte Turm erwähnt.“ (Dorfchronik Angern, 1650)

Diese Aussage ist nicht exakt lokalisiert, stellt aber einen gewichtigen indirekten Beleg dar, dass zumindest mehrere gewölbte Räume – wahrscheinlich auch im Palasbereich – den Brand überstanden haben. Das Ziegel-Innenmauerwerk könnte demnach entweder bauzeitlich aus dem 14. Jahrhundert stammen oder bereits vor 1631 als statisch notwendige Ergänzung eingebracht worden sein. Die bauliche Konzeption selbst – Bruchstein außen, Ziegel innen – entspricht einem seit dem 13. Jahrhundert etablierten Konstruktionsprinzip, das sich in der Altmark besonders in Gewölbeuntergeschossen wirtschaftlicher Funktionsbauten durchgesetzt hat.

Die östliche Außenwand des Palas der Burg Angern weist mit einer Stärke von rund 90 cm eine vergleichsweise geringe Mauerstärke auf, die deutlich hinter den typischen Dimensionen hochmittelalterlicher Wehrmauern zurückbleibt. Während Ringmauern und Bergfriedanlagen der Zeit regelmäßig Wandstärken von 1,50 bis über 2,50 Meter aufweisen, deutet der hier dokumentierte Befund vielmehr auf eine wirtschaftlich konzipierte Außenwand ohne primäre Verteidigungsfunktion hin. Solche Mauerstärken sind vor allem an weniger exponierten Seiten von Wohn- oder Funktionsgebäuden nachgewiesen – etwa an seitlichen Palasflügeln in Burg Ziesar oder an östlich gelegenen Nebentrakten von Burg Beetzendorf.

Funktionale Mauerwerksökonomie statt Wehrfunktion

Die geringe Wandstärke steht im baulichen Zusammenhang mit der geschützten Lage der Ostseite zur Grabenzone hin. Eine direkte Angriffslinie war hier kaum zu erwarten, sodass die Mauer keine wehrtechnisch belastete Struktur darstellen musste. Vielmehr diente sie der statischen Ausmauerung des tonnengewölbten Erdgeschosses und dem thermischen Abschluss des Baukörpers. Die Kombination aus Bruchstein im unteren Bereich und Ziegelmauerwerk im Innenausbau belegt zudem eine pragmatische Mischbauweise, wie sie für funktionale Bauteile im nichtrepräsentativen Bereich eines Palas typisch war.

Vergleichbare Strukturen mit ähnlicher Wandstärke (85–100 cm) und gleichem Materialeinsatz finden sich etwa im Keller des Palas der Burg Ziesar, im Erdgeschoss der Burg Seehausen und im nichtrepräsentativen Flügelbereich von Tangermünde. Die geringe Dicke der Mauer spricht gegen eine massive Nachrüstung, wie sie nach Kriegszerstörungen üblich war, und vielmehr für eine bauzeitliche Umsetzung oder eine frühe Ergänzung im Spätmittelalter. Die Beispiele aus der Altmark und angrenzenden Regionen belegen eine bewusste Reduktion von Wandstärken an weniger gefährdeten Fassaden oder bei Nutzbauten, um Material und Arbeitskraft zu sparen. Der Befund der Ostwand des Palas in Angern ist daher keineswegs als bauliche Schwachstelle, sondern vielmehr als Ausdruck einer gezielten und zweckoptimierten Planung zu werten. Er steht exemplarisch für die bauliche Rationalität hochmittelalterlicher Wasserburgen, in denen Funktion, Materialverfügbarkeit und Verteidigungspotenzial in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht wurden.

In der Gesamtschau ergibt sich daher ein klares Bild: Das Ziegelmauerwerk im Palas von Angern ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Teil der ursprünglichen hoch- oder spätmittelalterlichen Bauphase. Es wurde nicht erst nach 1631 eingezogen, sondern war bereits vor dem Dreißigjährigen Krieg Bestandteil des Raumgefüges – möglicherweise zur besseren Integration des Tonnengewölbes oder zur Optimierung der inneren Wandflächen. Die Kombination aus regionaltypischer Bauweise, statischer Logik und fehlenden Wiederaufbaunachweisen stützt diese Deutung eindeutig.

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Innenansicht der Fensteröffnung in der östlichen Außenmauer des Palas des nördlichen Gewölbes

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Fenster des nördlichen Palas-Gewölbes in der Ostwand

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Fenster des südlichen Palas-Gewölbes in der Ostwand

Befund: Fensteröffnungen in der nördlichen Ostwand des Palas

Das auf dem Foto gezeigte Fenster in der Ostwand des Palas auf der Hauptburginsel der Burg Angern ist ein anschauliches Beispiel für eine nachträgliche Öffnung in einer ursprünglich geschlossenen, hochmittelalterlichen Bruchsteinwand. Die Öffnung ist mit einem flachen Segmentbogen aus Ziegeln überdeckt, dessen Mauertechnik sich deutlich vom umliegenden Bruchsteinverband absetzt. Die Ziegel sind nicht verzahnt, sondern wurden in ein bereits bestehendes Mauerfeld eingesetzt – ein typisches Merkmal für sekundäre Einfügungen. Auch die rechte Laibung zeigt Spuren späterer Nachmauerung, vermutlich im Zuge von Anpassungen an neue Nutzungsbedürfnisse. Die Dimension und Ausführung des Fensters sprechen gegen eine bauzeitliche Entstehung um 1340. Stattdessen dürfte es sich um eine frühneuzeitliche Maßnahme handeln, wahrscheinlich aus dem 17. oder frühen 18. Jahrhundert, mit dem Ziel, die Belichtung und Belüftung angrenzender Wirtschaftsräume zu verbessern. Solche funktionalen Umgestaltungen finden sich auch an vergleichbaren Anlagen wie den Burgen Ziesar, Seehausen oder Beetzendorf. Trotz dieser baulichen Eingriffe blieb der ursprüngliche Mauerverband im Wesentlichen erhalten, was die behutsame Nachnutzung der mittelalterlichen Substanz belegt. Insgesamt zeigt der Befund exemplarisch, wie sich bauliche Schichten überlagern können, ohne dass die ursprüngliche Struktur vollständig überformt wird – eine typische Erscheinung in der Nutzungsgeschichte von Burgen mit kontinuierlicher Belegung.

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Außenansicht der östlichen Außenmauer des Palas mit Fenstern  - Stich von Duncker

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Rechts: Ecke Süd-Ost-Wand des Palas

Fenster und Sicherungselemente

Die im Erdgeschoss des Palas der Burg Angern erhaltenen Fensteröffnungen stellen ein selten überliefertes bauzeitliches Element hochmittelalterlicher Kellerarchitektur dar. Sie befinden sich in der östlichen Außenwand und lassen sich anhand ihrer Form, Einbindung in das Mauerwerk und der Materialität mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Bauphase um 1340 datieren.

Fensterform und Position: Die Fenster sind als kleine, annähernd quadratische Öffnungen mit einer lichten Weite von etwa 40 × 40 cm ausgeführt. Sie befinden sich in asymmetrischer Anordnung im unteren Drittel der Gewölberäume – jeweils seitlich der Längsachse – und sind deutlich unterhalb der ursprünglichen Traufhöhe platziert. Diese Position ist statisch sinnvoll gewählt: Öffnungen im Scheitelbereich der Tonnengewölbe hätten die Stabilität beeinträchtigt, während die seitliche Platzierung eine sichere Belichtung bei gleichzeitigem Erhalt der Tragstruktur ermöglichte. Die Fenster dienten primär der Lichtzufuhr und Belüftung, nicht jedoch der Aussicht oder Kommunikation.

Mauertechnischer Befund: Die Fensterlaibungen bestehen aus kleinformatigen, längs gesetzten Handstrichziegeln, die bündig in das umgebende Mischmauerwerk aus Bruch- und Feldstein eingelassen sind. Die Ziegelformate, der Fugenverlauf sowie die Mörtelstruktur weisen keine Anzeichen sekundärer Veränderung auf. Die Fensteröffnungen wurden demnach nicht nachträglich ausgeschnitten, sondern sind integraler Bestandteil der Primärkonstruktion. Die äußere Einfassung der südlichen Öffnung erfolgt über einen flach segmentbogigen Ziegelsturz mit hochkant gesetzten Ziegeln. Auch hier zeigt sich keine bautechnische Zäsur: Weder Putztrennfugen noch Abweichungen im Mörtelgefüge oder Maßunterschiede der Ziegel lassen auf eine spätere Ergänzung schließen. Die Homogenität der Ausführung stützt die bauzeitliche Datierung.

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Sicherungselemente: Im oberen Bereich der Laibung des südlichen Fensters sind beidseitig korrosionsartige Rückstände sichtbar. Die symmetrische Anordnung und die Einbindung in die originale Bausubstanz sprechen für eine historische Verankerung eines Sicherungselements – vermutlich eines geschmiedeten Eisenankers oder eines horizontal durchlaufenden Gitterstabs. Diese Interpretation wird durch vergleichbare Befunde an anderen hoch- und spätmittelalterlichen Anlagen der Altmark gestützt (z. B. Ziesar, Kalbe, Lenzen), wo Kellerfenster regelmäßig mit fest verankerten Eisengittern gesichert waren. Der Einbau solcher Sicherungselemente folgt sicherheits- und nutzungslogischen Erwägungen: Fenster in Bodennähe, insbesondere zur grabenseitigen Außenmauer, stellen potenzielle Schwachstellen im Verteidigungssystem dar und wurden deshalb häufig durch starre Gitter geschützt.

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Spätere Veränderungen: Einzelne spätere Eingriffe lassen sich auf Detailniveau nachweisen: So sind in einer Fensterbank vermauerte Dachziegel erkennbar, die wahrscheinlich nicht zur Originalausführung gehören. Diese baulichen Überformungen betreffen jedoch nur sekundäre Nutzungsschichten und modifizierte Fensterbänke – nicht die Fensteröffnung selbst.

Nördliches Fenster: Die gegenüberliegende Öffnung im nördlichen Gewölberaum zeigt eine vergleichbare Dimension und asymmetrische Platzierung, jedoch weicht die Ausführung in einem entscheidenden Punkt ab: Ein Backstein in der äußeren Fensterlaibung trägt die Prägung „Kehnert“ – eine moderne Markierung, die sich eindeutig der industriellen Produktion des 19. Jahrhunderts zuordnen lässt. Dieser Ziegel belegt, dass die äußere Laibung des nördlichen Fensters im Rahmen einer späteren Maßnahme zumindest teilweise ersetzt oder ausgebessert wurde. Die übrige Laibung besteht ebenfalls aus hochkant gesetzten Ziegeln, jedoch ist die Verfugung uneinheitlicher als beim südlichen Fenster, und die Bindung zum umgebenden Bruchsteinmauerwerk wirkt partiell gestört. Diese Befunde deuten darauf hin, dass das ursprüngliche Fenster vermutlich bauzeitlich ist, jedoch in einer späteren Phase – möglicherweise infolge von Substanzverlust oder baulicher Anpassung – teilweise erneuert wurde. Das Fenster selbst ist in Form und Lage analog zum südlichen Fenster konzipiert, wodurch seine bauzeitliche Grundstruktur erhalten geblieben sein dürfte.

Vergleich und bauhistorische Einordnung: Die Fensteröffnungen im Palas der Burg Angern entsprechen in ihrer Dimensionierung, Lage und Ausführung der Typologie hochmittelalterlicher Kellerfenster. Die Kombination aus segmentbogiger Öffnung, asymmetrischer Anordnung, Ziegellaibung und Sicherungselementen ist in vergleichbaren Anlagen dokumentiert und fügt sich in das Bild eines funktional differenzierten Wirtschaftstrakts innerhalb einer Wehrburg. Die bauzeitliche Ausführung der Fenster bildet ein weiteres Indiz für die Authentizität der gesamten Gewölbeanlage und unterstreicht den hohen Erhaltungsgrad der Primärstruktur.

 

Befundbericht: Ostwand des Palas der Burg Angern (Hauptburginsel)

Lage und Kontext: Der hier untersuchte Mauerabschnitt bildet die östliche Außenwand des Palas auf der Hauptburginsel der Burg Angern. Diese Wand grenzt unmittelbar an den ehemaligen Wassergraben, der die Hauptburginsel vollständig umgab, und ist Bestandteil eines tonnengewölbten Erdgeschossraumes, der funktional und typologisch dem hochmittelalterlichen Kellerbereich zuzuordnen ist. Die Struktur der Wand ist sowohl durch historische Schwarzweißaufnahmen als auch durch aktuelle fotografische Dokumentationen von Innen- und Außenbereich belegt. In ihrer unteren Hälfte ist die Wand bis zur Fundamentzone freigelegt und erlaubt dadurch eine detaillierte bauhistorische Analyse. Ihre Lage innerhalb des ältesten Kernbereichs der Burg macht sie zu einem wichtigen Bauteil für die Rekonstruktion der hochmittelalterlichen Bau- und Nutzungsgeschichte.

Maueraufbau und Bauphasen

Die Wand weist eine durchschnittliche Stärke von etwa 90 Zentimetern auf und zeigt eine klar differenzierbare Gliederung in drei Abschnitte: einen mittleren Bereich mit bauzeitlichem Fenster, einen nördlichen, später überarbeiteten Abschnitt sowie einen deutlich überformten südlichen Wandteil. Materialwahl, Mörtelzusammensetzung, Schichtung und sichtbare Eingriffe unterscheiden sich jeweils deutlich voneinander.

Mittlerer Abschnitt (Fensterzone)

Der mittlere Wandabschnitt, der sich unmittelbar östlich des tonnengewölbten Hauptraums befindet, besteht aus unregelmäßigem Bruchsteinmauerwerk, das aus unbehauenen Granit- und Gneisgeröllen regionaler Herkunft zusammengesetzt ist. Die Steine sind lagerhaft, jedoch nicht exakt geschichtet. Als Bindemittel dient ein kalkhaltiger, grobkörniger Mörtel mit deutlichen mineralischen Einschlüssen.

Besonders hervorzuheben ist eine original erhaltene, segmentbogig überwölbte Fensteröffnung von etwa 40 × 40 cm, die mittels hochkant gesetzter Ziegellaibungen ausgebildet ist. Die Mauerstruktur um das Fenster ist vollständig intakt, ohne Hinweise auf nachträgliche Einfügungen oder Veränderungen. An der inneren Laibung sind stark korrodierte Eisenreste nachweisbar, die vermutlich von einem historischen Sicherungselement – etwa einem Fenstergitter oder einem Verriegelungshaken – stammen.

Der Mauerverband in diesem Bereich ist in sich homogen und lässt keine Hinweise auf spätere Überarbeitungen erkennen. Aufgrund der Materialität, Technik und Einbindung des Fensters in die Gewölbebasis ist dieser Abschnitt zweifelsfrei der hochmittelalterlichen Erstbauphase um 1340 zuzuordnen.

Nördlicher Abschnitt (nördlich der Fensterzone)

Nördlich der Fensterzone zeigt die Wandstruktur ein verändertes Gefüge. Zwar handelt es sich weiterhin um Bruchsteinmauerwerk, doch ist die Auswahl der Steine regelmäßiger, mit tendenziell kleineren Formaten und einem deutlich stärkeren Horizontalbezug in der Schichtung. Die Mörtelfuge ist schmaler und heller, was auf einen feineren, weniger kalkreichen Mörtel hindeutet. Auffällig ist eine vertikale Trennfuge mit geringfügigem Versatz zum mittleren Abschnitt, die auf eine später vorgenommene Reparatur hindeutet. Zudem sind vereinzelt Backsteinfragmente eingebettet, die eine gezielte Ausbesserung mit verfügbaren Sekundärmaterialien nahelegen.

Diese Merkmale sprechen für eine nachträgliche Instandsetzung, vermutlich im Rahmen frühneuzeitlicher Umnutzungsphasen oder infolge witterungsbedingter Schäden. Eine genaue Datierung ist nicht möglich, der Befund legt jedoch eine Reparatur im 18. oder 19. Jahrhundert nahe.

Südlicher Abschnitt

Im südlichen Bereich der Ostwand ist eine komplexe Schichtabfolge ablesbar, die mindestens drei Bauphasen erkennen lässt: Die unterste Zone besteht aus einem grob versetzten Bruchsteinfundament mit großformatigen Feldsteinen, wie sie für hochmittelalterliche Gründungszonen im wasserbeeinflussten Untergrund typisch sind. Dieses Fundament ist offensichtlich bauzeitlich und bildet die statische Basis der Wand.

Darüber folgt eine mittlere Zone aus Backsteinmauerwerk, das nicht verzahnt mit dem darunterliegenden Bruchsteinverband verbunden ist. Dieses Mauerwerk weist eine horizontale Schichtung auf und scheint als nachträglicher Aufsatz oder zur statischen Verstärkung aufgebracht worden zu sein. Seine Ausführung spricht für eine bauliche Veränderung in frühneuzeitlicher Zeit, möglicherweise im Zusammenhang mit einer Erhöhung des Hofniveaus oder einer veränderten Raumnutzung nach 1650. Die oberste Wandzone ist verputzt und enthält mehrere rechteckige Fensteröffnungen mit modernen Rahmungen. Diese Elemente belegen eine jüngere Nutzungsanpassung, vermutlich als Scheunen- oder Lagerstruktur im 19. oder frühen 20. Jahrhundert.

Bemerkenswert ist zudem eine segmentbogig übermauerte Öffnung aus Backstein im unteren Bereich. Ihr Aufbau und die Lage deuten auf eine spätere Umgestaltung hin, die sich nicht in die hochmittelalterliche Bauphase einfügt. Hinweise auf eine ursprüngliche Nutzung oder Funktion dieser Öffnung fehlen.

Interpretation

Die Ostwand des Palas der Burg Angern dokumentiert in besonderer Weise die kontinuierliche Nutzung und bauliche Anpassung eines hochmittelalterlichen Kerngebäudes über mehrere Jahrhunderte hinweg. Der mittlere Wandabschnitt mit seiner originalen Fensteröffnung ist ein seltener und qualitativ herausragender Befund, der die Authentizität der hochmittelalterlichen Keller- bzw. Erdgeschossarchitektur bestätigt. Der nördliche Wandteil belegt kleinere Reparaturen, die sich unauffällig in das Gesamtbild einfügen, jedoch durch Materialwahl und Mörtelzusammensetzung eindeutig als sekundär zu erkennen sind.

Der südliche Abschnitt zeigt hingegen eine deutliche Überformung mit klar voneinander ablesbaren Bauphasen, die von einer barocken Umgestaltung bis hin zu modernen Eingriffen reichen. Diese Überlagerungen spiegeln die zunehmende Umnutzung des Palas von einem Wehr- und Verwaltungsbau hin zu sekundären wirtschaftlichen Funktionen wider. Solche Transformationsprozesse sind für die Altmark charakteristisch, finden sich aber nur selten so klar ablesbar und vergleichbar erhalten wie in Angern.

Bauhistorische Bewertung

Die Ostwand des Palas stellt ein bedeutendes Beispiel für die bauliche Entwicklung einer hochmittelalterlichen Wasserburg im nördlichen Sachsen-Anhalt dar. Die erhaltene Fensterzone im mittleren Wandabschnitt ist ein selten überlieferter Originalbefund, der durch Materialität, Konstruktion und Erhaltungszustand eindeutig in die Bauphase um 1340 datierbar ist.

Die nördlichen und südlichen Wandzonen geben wertvolle Hinweise auf spätere Reparaturen, Umbauten und Anpassungen, wie sie für langfristig genutzte Burganlagen typisch sind. Besonders der Ziegelaufsatz im Süden und die moderne Putzoberfläche mit Lagerfenstern illustrieren anschaulich den Wandel der Nutzungskontexte über mehr als sechs Jahrhunderte. Der Befund liefert damit nicht nur wesentliche Erkenntnisse zur Baugeschichte des Palas, sondern auch zur Nutzungsdynamik der gesamten Hauptburginsel im Kontext der Umgestaltung nach 1650.

Insgesamt stellt die Ostwand mit ihrer komplexen Schichtung, der authentischen Fensteröffnung und den unterschiedlichen Bauphasen einen Schlüsselbefund für die baugeschichtliche Analyse der Burg Angern dar.

Im 14. Jahrhundert war die Altmark Schauplatz konkurrierender Herrschaftsansprüche. Die Markgrafen von Brandenburg, das Erzbistum Magdeburg sowie einflussreiche Adelsfamilien wie die von Alvensleben und von Grieben rangen um Besitzrechte, Lehnsbindungen und lokale Machtstellungen. In diesem territorial instabilen Raum stellte die Gründung der Burg Angern eine gezielte Maßnahme der Erzdiözese Magdeburg dar, um ihren Einfluss militärisch abzusichern und administrativ zu konsolidieren. Die Errichtung einer Wasserburg mit deutlich ausgeprägter Wehr- und Wohnfunktion manifestierte die landesherrliche Präsenz vor Ort und fungierte zugleich als sichtbares Machtsymbol gegenüber konkurrierenden Adelsinteressen. Hauptburg Angern Palas, Ringmauer und Wehrgang um 1350
Die Besitzgeschichte der Burg Angern lässt sich ab dem 14. Jahrhundert anhand von Lehnbriefen, Pfandverträgen und erzbischöflichen Urkunden nachvollziehen. Die frühe Geschichte ist dabei durch häufige Besitzerwechsel und konkurrierende Lehnsverhältnisse geprägt, was auf die strategische Bedeutung der Anlage und den politischen Druck auf das Erzstift Magdeburg hinweist. Erstmals wird die Burg im Jahr 1343 als Besitz eines Gerlof von Brunhorcz erwähnt. Im Jahr 1363 erscheint Lüdecke von Grieben als Lehnsträger. Er war kein Angehöriger der hochadeligen Familie von Grieben, sondern ein Vasall, der deren Namen übernommen hatte – ein im Mittelalter verbreitetes Phänomen, um familiäre Zugehörigkeit oder Schutzverhältnisse zu demonstrieren. 1370 sind Lüdecke von Grieben und zwei Söhne des Ritters Jakob von Eichendorf gemeinsam mit Angern belehnt.
Dieser Rundgang durch die Burg Angern um das Jahr 1340 basiert auf einer sorgfältigen Rekonstruktion historischer Quellen, archäologischer Befunde und baugeschichtlicher Analysen. Alle Szenen, Räume und Details wurden unter Berücksichtigung realer Gegebenheiten der mittelalterlichen Anlage entwickelt – etwa der erhaltenen Tonnengewölbe, der typischen Bauweise von Palas, Bergfried und Wirtschaftsflügeln sowie Hinweise aus Inventaren und schriftlichen Überlieferungen. Ziel ist es, nicht nur die äußere Gestalt, sondern auch die Atmosphäre und Lebenswelt einer spätmittelalterlichen Burg erlebbar zu machen – so nah wie möglich an der historischen Realität, doch mit erzählerischer Tiefe. Die Bilder zeigen fotorealistische Rekonstruktionen der Burg Angern um 1350. Sie basieren auf archäologischen Befunden, historischen Quellen und vergleichbarer Bausubstanz – realitätsnah umgesetzt mit moderner KI-Technik.
Die Burg Angern als exemplarische hochmittelalterliche Wasserburg in Norddeutschland. Die Burg Angern zählt zu den wenigen in der norddeutschen Tiefebene erhaltenen Wasserburgen des Hochmittelalters, deren archäologische und archivalische Überlieferungslage gleichermaßen als außergewöhnlich günstig zu bewerten ist. Die um 1340 errichtete Anlage vereint in exemplarischer Weise militärische, ökonomische und administrative Funktionen innerhalb eines klar strukturierten und funktional differenzierten Burgsystems. Ihre topografische Disposition – bestehend aus zwei künstlich aufgeschütteten Inseln, vollständig umgeben von einem mehrfach gegliederten Grabensystem – dokumentiert eindrucksvoll die strategischen und ingenieurtechnischen Prinzipien des Burgenbaus im mittleren 14. Jahrhundert. Burganlage in Angern mit Vorburg, Hauptburg mit Wehrgängen (orange) und Brücken sowie der Turminsel
Die Vorburg der Burg Angern: Funktionsanalyse und historische Rekonstruktion unter der Annahme mittelalterlicher Vorgängermauern (ca. 1350). Die Vorburg der Burg Angern, wie sie auf einem barockzeitlichen Plan um 1760 dargestellt ist, weist eine markante rechteckige Struktur mit drei langgestreckten Wirtschaftsgebäuden und zwei freistehenden Bauten auf. Auf Grundlage architektonischer Analyse, funktionaler Einteilung sowie typologischer Vergleiche mit anderen mitteleuropäischen Burganlagen lässt sich begründet rekonstruieren, dass die barocken Gebäude auf der Struktur und dem Grundriss einer hochmittelalterlichen Vorburg basieren. Die folgenden Ausführungen widmen sich der Rekonstruktion dieser früheren Vorburg unter der Annahme eines Baubestandes aus der Zeit um 1350. Innenhof der Vorburg Angern mit Wirtschaftsgebäuden (KI-Rekonstruktion)
Die strategische Lage Angerns im Dreißigjährigen Krieg. Angern war zu Beginn des 17. Jahrhunderts Sitz eines ausgedehnten Lehngutes der Familie von der Schulenburg, gelegen an der Grenze zwischen dem Kurfürstentum Brandenburg und den geistlichen Territorien Halberstadt und Magdeburg. Die Burg war Teil eines befestigten Ensembles aus Hauptburg, Vorburg und Turminsel. Ihre Lage machte sie im Kontext konfessioneller Konflikte und durchziehender Heere zu einem militärisch sensiblen Ziel.
Dieses Essay unternimmt den Versuch, die Lebenswirklichkeit im Dorf Angern um das Jahr 1340 nachzuzeichnen – basierend auf überlieferten Urkunden, Inventaren, Dorfordnungen und vergleichenden Regionalanalysen. Es beleuchtet die sozialen Strukturen , das wirtschaftliche Leben , den Alltag der Bevölkerung , und stellt Angern in den Kontext vergleichbarer Dörfer mit ähnlicher Herrschafts- und Wirtschaftsform. Trotz der lückenhaften Quellenlage aus dem 14. Jahrhundert erlauben spätere Ordnungen und bauliche Spuren einen aufschlussreichen Rückblick auf eine Epoche, in der feudale Macht, religiöse Ordnung und agrarische Selbstversorgung das Leben der Menschen bestimmten. Alte Dorfstrasse von Angern im Mittelalter
Die Errichtung der Burg Angern um 1340 – Architektur, Handwerk und Kontext. Die Burg Angern entstand um das Jahr 1340 im Auftrag des Erzbischofs Otto von Magdeburg. Diese Befestigungsanlage war Teil einer territorialpolitischen Sicherungsstrategie des Erzstifts in der südlichen Altmark, nachdem 1336 ein Ausgleich mit dem Markgrafen von Brandenburg erreicht worden war. Die Anlage, gelegen an einer bedeutenden Handelsroute, zählt zu den Wasserburgen des Niederungstyps und zeigt exemplarisch, wie sich Wehrhaftigkeit, Verwaltung und Repräsentation im 14. Jahrhundert architektonisch verbanden.
Angern

Angern, Sachsen-Anhalt, Landkreis Börde. Heft 20, Berlin 2023 (ISBN: 978-3-910447-06-6).
Alexander Graf von der Schulenburg, Klaus-Henning von Krosigk, Sibylle Badstübner-Gröger.
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft e.V.
Umfang: 36 Seiten, 59 Abbildungen.