Die Verteidigungsweise der Burg Angern im Dreißigjährigen Krieg: Möglichkeiten und Grenzen einer wasserumwehrten Anlage. Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) stellte selbst befestigte Herrensitze vor neue Herausforderungen. Die Burg Angern, eine mittelalterliche Wasserburg mit separater Turminsel, war zu Beginn des 17. Jahrhunderts bereits stellenweise baulich überformt, jedoch in ihrer ursprünglichen Struktur weiterhin deutlich erkennbar. Möglicherweise wurden in dieser Phase erste Fensteröffnungen erweitert, Dächer angepasst oder Wohnräume an den gehobenen Komfortanspruch der Zeit angepasst. Wie bei vielen vergleichbaren Anlagen in der Altmark und im mitteldeutschen Raum setzte auch in Angern eine schrittweise Umwandlung vom rein wehrhaften Bau hin zu einem repräsentativen Adelssitz ein – ohne die charakteristische Inselstruktur der Burganlage vollständig aufzugeben.
Die bauliche Situation um 1618
Die Burg Angern verfügte zur Zeit des Kriegsbeginns noch über die Kernstruktur des 14. Jahrhunderts: Hauptburg auf einer Insel, Vorburg mit Wirtschaftshöfen und ein isolierter Bergfried auf einer eigenen Turminsel. Die Wassergräben waren vermutlich noch voll funktionsfähig und bildeten die erste Verteidigungslinie. In den Gebäuden befanden sich große Gewölbe, dicke Außenmauern und Schießscharten, die zwar für spätmittelalterliche Angriffe, nicht aber für frühneuzeitliche Belagerungstechniken optimiert waren. Artillerie war spätestens seit dem 16. Jahrhundert der Hauptgegner stationärer Burganlagen.
Innenhof der Hauptburg Angern mit Palas und Bergfried
Typische Verteidigungsmittel
Für eine Burg wie Angern kamen im Dreißigjährigen Krieg insbesondere folgende Maßnahmen zur Anwendung:
- Schließung aller Außentore und Brückenaufgänge durch Ziehbrücken oder massives Blockwerk,
- Einlagerung von Vorräten in Tonnengewölben (Korn, Salz, Wein, Wasser),
- Errichtung von Palisaden oder Vorwerken aus Holz auf der Vorburg oder im Umland,
- militärische Nutzung des Bergfrieds als letzte Rückzugsmöglichkeit, ggf. mit kleinen Munitionsdepots,
- stationäre Besetzung von Schießscharten, insbesondere an Engstellen wie Brückenzugängen,
- Beobachtung und Signalgebung vom Wehrgeschoss des Turms aus.
In Belagerungssituationen war ein vollständiger Rückzug in die Hauptburg oder gar in den Bergfried denkbar – letzterer konnte durch seine isolierte Lage und geringe Zugänglichkeit eine gewisse Zeit lang unabhängig verteidigt werden.
Schwächen der Anlage
Trotz ihrer wasserumwehrten Struktur war die Burg Angern nicht gegen längere Belagerung durch erfahrene Truppen geschützt:
- Ihre Außenmauern waren nicht artilleriefest.
- Die Flächen innerhalb der Inseln waren zu klein, um ausreichend viele Verteidiger aufzunehmen.
- Es fehlten moderne Bastionen, Ravelins oder Erdwälle, wie sie in zeitgenössischen Festungen üblich waren.
- Die Waffenwirkung von Musketen und kleinen Kanonen überwand die Höhe und Dicke der mittelalterlichen Mauern rasch.
Zudem war die Burg strategisch isoliert und konnte nicht auf benachbarte Festungen zurückgreifen. Dies macht sie anfällig für schnelle Einnahme durch durchziehende Söldnertruppen.
Die Zerstörung 1631
Im Sommer 1631 wurde die Burg Angern im Zuge der militärischen Auseinandersetzungen im Magdeburger Raum schwer beschädigt. Es ist davon auszugehen, dass die kaiserlichen Truppen Angern als strategischen Vorposten nutzten, um die Wege zur Elbe und nach Magdeburg zu kontrollieren. Die schwedischen Einheiten führten gezielte nächtliche Überfälle durch, wobei sie die relativ ungeschützte Burgbesatzung überraschten und zum Rückzug zwangen.
Die Anlage selbst konnte einem koordinierten Angriff mit Musketen und Brandmitteln nicht standhalten. Wahrscheinlich wurde die Vorburg zuerst eingenommen, die Gebäude geplündert und in Brand gesetzt. Die Hauptburg wurde zumindest teilweise gehalten, fiel aber spätestens beim zweiten Angriff nach dem 17. Juli den Flammen zum Opfer. Die Turminsel hingegen dürfte, wenn überhaupt, nur kurzzeitig genutzt worden sein: Aufgrund ihrer isolierten Lage und geringen Größe bot sie keinen längerfristigen Schutz. Möglicherweise diente der Bergfried noch kurzfristig als Lager- oder Rückzugsort, konnte aber gegen den koordinierten Angriff und das anschließende Feuer keine strategische Funktion mehr erfüllen. Die schwedischen Angreifer gehörten zum Holkschen Regiment, das zu diesem Zeitpunkt unter schwedischem Kommando stand. Es griff die von einer Abteilung kaiserlicher Soldaten besetzte Burg an, schlug diese nach heftigem Gefecht zurück und verursachte durch anschließende Brandlegung schwere Zerstörungen. Überliefert ist, dass nach dem Angriff lediglich die stark beschädigte Brauerei, ein Viehstall ohne Dach und das Pforthäuschen erhalten blieben【Gutsarchiv Angern Rep H 79】.
Das Holksche Regiment – Reiterverband unter schwedischem Kommando
Das sogenannte Holksche Regiment war eine berüchtigte Reitereinheit unter dem Kommando des dänischen Adligen Heinrich von Holk (1599–1633), der nach seinem Dienst für König Christian IV. in schwedische Dienste wechselte. Holk war bekannt für seine brutale Kriegsführung und führte ab 1630 mehrere verheerende Feldzüge im mitteldeutschen Raum. Seine Kürassiere agierten als Stoßtruppen, die gezielt für Überfälle, Brandschatzung und schnelle Geländegewinne eingesetzt wurden. Angesichts der Lage Angerns südlich von Magdeburg und des dokumentierten Gefechts vom Juli 1631 ist es historisch plausibel, dass Einheiten seines Regiments den nächtlichen Angriff auf die kaiserlich besetzte Burg führten. Der schnelle Rückzug der Verteidiger und die anschließende Brandzerstörung der Anlage entsprechen der typischen Vorgehensweise Holkscher Reiterei im frühen Kriegsverlauf.
Die Motivation des Holkschen Regiments beim Angriff auf Angern war operativ-strategisch (Zerschlagung kaiserlicher Positionen), wirtschaftlich (Beutezug, Versorgung) und psychologisch (Abschreckung, Destabilisierung). Angern war ein militärisch schwacher, aber symbolisch und strategisch gelegener Zielpunkt. Die Zerstörung von Burg und Dorf diente damit gleichermaßen der operativen Kriegsführung wie der materiellen Selbsterhaltung des Trupps.
Zerstörung der Ringmauer – nicht durch Artillerie
Entgegen der Entwicklung in anderen Festungen wurde die hohe Ringmauer von Angern höchstwahrscheinlich nicht durch gezielten Artilleriebeschuss zerstört. Die Angriffe im Sommer 1631 erfolgten durch mobile Reiterverbände unter Führung des Holkschen Regiments, das für schnelle Überfälle und Brandlegungen bekannt war, nicht für langwierige Belagerungen mit schweren Geschützen. Weder in den überlieferten Quellen noch im archäologischen Befund finden sich Hinweise auf einen systematischen Kanonenbeschuss. Es ist wahrscheinlicher, dass die Ringmauer durch Feuer, einstürzende Aufbauten, strukturellen Verfall und spätere Materialentnahme im Laufe des 17. Jahrhunderts zerstört wurde. Bis zum barocken Umbau ab 1735 war von der aufragenden Mauerstruktur nichts mehr erhalten – lediglich Keller und Fundamentzonen blieben bestehen.
Fazit
Die Burg Angern war im Dreißigjährigen Krieg ein Relikt der spätmittelalterlichen Wehrarchitektur, das unter den Bedingungen frühneuzeitlicher Kriegsführung nur begrenzt verteidigungsfähig war. Ihre Stärke lag in der kurzfristigen Abschirmung und im Rückzug auf wasserumwehrte Inseln, nicht in der dauerhaften militärischen Auseinandersetzung. Die Geschichte ihrer Beschädigung zeigt exemplarisch, wie symbolisch aufgeladene Anlagen der Adelsrepräsentation in einer neuen Epoche an strategischer Bedeutung verloren – und durch Artillerie und Manöverkriegsführung überholt wurden.
Quellen
- Publikation Angern (2022)
- Rep. H Angern, Nr. 417
- gv_archiv_inventar_rep_h_ 79.doc
- Brülls/Könemann (2001): Denkmalverzeichnis Sachsen-Anhalt, Bd. 10.2
- Press, V. (1991): Der Dreißigjährige Krieg
- Zeune, J. (1994): Burgtypen in Mitteleuropa
- Menzel, R. (2017): Burgen und Festungen der Frühen Neuzeit