Die Aufspaltung des weißen Stammes derer von der Schulenburg und ihre territorial-politische Entwicklung (15.–18. Jahrhundert). Im Verlauf des 14. Jahrhunderts kam es innerhalb der Familie von der Schulenburg zu einer grundlegenden genealogischen Aufspaltung in der Altmark. Dietrich II., der zwischen 1304 und 1340 nachweisbar ist, begründete die sogenannte schwarze Linie, während sein jüngerer Bruder Bernhard I., der nach 1340 noch lebte, als Stammvater der weißen Linie gilt. Beide Linien entwickelten sich in den folgenden Jahrhunderten weiter, wobei sich innerhalb der weißen Linie eine differenzierte Gliederung in Äste, Zweige und Häuser herausbildete – ein typisches Phänomen dynastischer Differenzierung im niederen Adel des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Mitteleuropa.
Ein markanter Ausgangspunkt dieser Entwicklung liegt in der Generation der drei Söhne des Ritters Fritz I von der Schulenburg (1350–1415). Busso I., Bernhard VIII. und Matthias I. teilten den ererbten Besitz unter sich auf und begründeten so die ältere, mittlere und jüngere Linie des weißen Stammes. Diese Aufteilung bildete die Grundlage für eine über mehrere Jahrhunderte hinweg stabile Präsenz der Familie in der Region um Angern.
Im Jahr 1448 erhielten die Brüder durch einen Lehnbrief des Erzbischofs Friedrich von Magdeburg Friedrich die Herrschaft Angern zu rechtem männlichen Lehen. In der Folge wurde der Gesamtbesitz real geteilt: Busso übernahm das Gut Vergunst, Bernhard den sogenannten Alten Hof und Matthias den Burghof in Angern. Diese Strukturierung führte zur Ausbildung dreier in Angern ansässiger Linien, die in den Quellen des 15. und 16. Jahrhunderts als älterer, mittlerer und jüngerer Zweig benannt werden.
Sie wurden im Jahre 1448 durch Lehnbrief des Erzbischofs Friedrich von Magdeburg mit der Herrschaft Angern zu rechten männlichen Lehen beliehen. Die drei Zweige der Familie von der Schulenburg in Angern entstanden im 15. Jahrhundert, als die Brüder den Besitz unter sich aufteilten: Busso erhielt das Gut Vergunst, Bernhard den Alten Hof, und Matthias den Burghof in Angern. Diese Teilung führte zur Entstehung des älteren, mittleren und jüngeren Zweigs, die bis ins 18. Jahrhundert das Bild der Herrschaft in Angern prägten.
Die Geschichte des weißen Stammes der Familie von der Schulenburg ist ein exemplarisches Beispiel für die dynastische Differenzierung eines niederen Adelsgeschlechts im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Mitteleuropa. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die Generation der drei Söhne des Ritters Fritz I von der Schulenburg (1350-1415) – Busso I, Bernhard VIII und Matthias I – die als Stammväter der älteren, mittleren und jüngeren Linie in die Geschichte eingingen. Diese Linie ist als „weißer Stamm“ bekannt und steht genealogisch der sogenannten schwarzen Linie gegenüber, deren territoriale Schwerpunkte sich teilweise von denen des weißen Stammes unterschieden.
Im 17. Jahrhundert erfuhr die jüngere Linie eine weitere Aufspaltung. Mit den Söhnen von Daniel I. von der Schulenburg teilte sich diese Linie in die Äste Altenhausen und Angern. Trotz enormer Verluste durch Krieg, Plünderungen und Seuchen während des Dreißigjährigen Kriegs blieben beide Linien bestehen. Während Altenhausen unter Matthias V. zum Sitz eines gebildeten und politisch ambitionierten Landrats wurde, der sich frühzeitig mit dem schwedischen Königreich arrangierte, blieb Angern unter Henning II. von den Zerstörungen des Krieges besonders schwer betroffen. Die dortige Gutsstruktur wurde 1631 nahezu vollständig zerstört, was tiefgreifende Auswirkungen auf die spätere bauliche Entwicklung hatte.
Bis ins 18. Jahrhundert hinein prägten diese Linien die politisch-wirtschaftliche Landschaft der Altmark. Der weiße Stamm derer von der Schulenburg stellt damit ein bemerkenswertes Beispiel für die genealogische Ausfächerung und territoriale Behauptung eines altmärkischen Adelsgeschlechts über mehrere Epochen hinweg dar.
Gemeinsamer Ursprung und frühe Kooperation
Trotz der späteren Zersplitterung lassen sich im 15. Jahrhundert zunächst starke gemeinschaftliche Bindungen der drei Brüder feststellen. Gemeinsam traten sie in den Dienst des Erzbischofs von Magdeburg und erhielten von diesem 1438 das Lehen Barleben und 1448 das strategisch bedeutende Gut Angern in der Altmark. Diese Belehnungen markieren nicht nur den Eintritt des weißen Stammes in den politischen Orbit des Erzstifts Magdeburg, sondern auch einen Wendepunkt in der Geschichte der Familie, die bis dahin mit der Landeskirche teils verfeindet gewesen war. In dieser Phase war die Brüderkooperation eng: Alle drei wurden 1443 Mitglieder des prestigeträchtigen Schwanenordens, eines ritterlich-höfischen Netzwerks, das dem sozialen Aufstieg diente. Die Brüder agierten weitgehend als Gesamthänder, was dem damaligen Lehensrecht entsprach und die rechtliche Grundlage für ihre gemeinsamen Besitz- und Machtansprüche bildete.
Territoriale Teilung und genealogische Differenzierung
Doch bereits kurz nach der Belehnung mit Angern ist eine erste faktische Aufteilung des Besitzes greifbar. Die Brüder scheinen – analog zur Teilung von Beetzendorf – auch das Gut Angern früh unter sich aufgeteilt zu haben. Diese Fragmentierung begünstigte die Entstehung dreier genealogischer Linien/Zweige:
- Die ältere Linie unter Busso I besaß u. a. Anteile an Beetzendorf und Angern-Vergunst und erwarb später Osterwohle und Hehlen.
- Die mittlere Linie unter Bernhard VIII blieb zunächst ohne Anteil an Angern oder Beetzendorf und etablierte sich später auf Gütern wie Reinsdorf, Schochwitz und Erdeborn.
- Die jüngere Linie unter Matthias I begründete ihren Schwerpunkt auf Burg Angern und Altenhausen, mit späteren Abzweigungen u. a. nach Emden und Burgscheidungen.
Diese genealogische Aufspaltung hatte tiefgreifende Folgen für die Besitzstruktur und die strategische Ausrichtung der Familie. Während die Brüder zu Beginn als politisch geeinte Gruppe auftraten, differenzierte sich die Familie im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts zunehmend in territorial getrennte Herrschaftseinheiten.
Der ältere Zweig
Der sogenannte ältere Zweig der Familie von der Schulenburg, später repräsentiert durch Busso VI. von der Schulenburg (†1601) und seinen Sohn Hans XII. († 1625), galt bis in das frühe 17. Jahrhundert als der primäre Besitzträger von Gut Vergunst und nahm innerhalb der Angerner Linie eine zentrale Stellung ein. Bereits unter Busso VI. kam es jedoch zu einer existenzbedrohenden finanziellen Schieflage: Ein Konkursverfahren führte zur vorübergehenden Veräußerung von fünf Achteln des Gutes an Gläubiger. Erst Hans XII. konnte im Jahr 1605 im Rahmen eines Vergleichs die Rückführung dieser Anteile erreichen und den Besitz formal konsolidieren. Allerdings starben seine männlichen Nachkommen frühzeitig, sodass die Linie im Mannesstamm ausstarb. In der Folge entbrannte ein langwieriger Erbschaftsstreit, bei dem insbesondere die Abgrenzung zwischen Allodial- und Lehensgütern rechtlich umstritten war. Erst 1667 gelang eine abschließende Beilegung der Auseinandersetzungen. Das Aussterben dieser Linie markierte nicht nur den Verlust eines angestammten Besitzträgers, sondern auch einen tiefen Einschnitt in der genealogischen und wirtschaftlichen Kontinuität der Schulenburgschen Gutsverwaltung in Angern.
Der mittlere Zweig
Der mittlere Zweig der Familie von der Schulenburg, begründet durch Bernhard von der Schulenburg (1427–1469), war mit dem sogenannten Alten Hof unmittelbar neben der Kirche in Angern belehnt. Im Gegensatz zum älteren (Vergunst) und jüngeren (Burghof) Zweig blieb dieser Besitz räumlich enger mit dem Dorfkern verbunden. Bereits im Verlauf des 16. Jahrhunderts geriet der mittlere Zweig zunehmend unter wirtschaftlichen Druck und verlor nach und nach an Bedeutung. Ein entscheidender Wendepunkt war das Jahr 1561, in dem Christoph III. von der Schulenburg, letzter Besitzer dieser Linie, seinen Besitz in zwei Teilen veräußerte: Die eine Hälfte ging an die ältere Linie (Gut Vergunst), die andere an die jüngere Linie (Burghof). Mit dieser Transaktion erlosch der mittlere Zweig als eigenständiger Besitzträger innerhalb der Familie und wurde faktisch in die beiden benachbarten Linien eingegliedert.
Der jüngere Zweig
Der jüngere Zweig der Familie von der Schulenburg wurde durch Matthias I. von der Schulenburg (1410–1479) begründet, der im Zuge der familiären Besitzteilung den Burghof in Angern erhielt. Zu den bedeutendsten Vertretern dieser Linie zählte Jakob II. von der Schulenburg, der 1567 zum Reichsfeldmarschall ernannt wurde, sowie Henning III. (1587–1637), der das Gut während des Dreißigjährigen Kriegs führte. Heinrich Hartwig von der Schulenburg (1677–1734) erbte 1718 den Burghof von seinem Onkel Friedrich August. Nach seinem Tod kam es zu einem Konkursverfahren, durch das der gesamte Besitzbestand in Angern akut gefährdet war. Der drohende Verlust an familienfremde Gläubiger konnte nur durch das Eingreifen anderer Linien abgewendet werden, womit auch die eigenständige Rolle dieses Zweigs im Besitzgefüge der Familie endete.
Dezentralisierung durch Einzelerwerbungen
Im 16. Jahrhundert verstärkte sich dieser Prozess. Zahlreiche Einzelerwerbungen wie Altenhausen (1485), Osterwohle (1499), Hehlen (1570) oder Schochwitz (1573) zeugen von der wachsenden Selbstständigkeit einzelner Linien und Äste. Diese Dezentralisierung wurde durch Erbteilungen, Verkäufe und das Ausscheiden ganzer Linien aus dem Mitbesitz an zentralen Stammgütern wie Beetzendorf oder Angern weiter forciert. Während also die formale Belehnung oft weiterhin in Gesamthand erfolgte – etwa bei Angern – erodierte die faktische Einheit des weißen Stammes zunehmend. Besitzrechte wurden intern übertragen oder an verwandte Linien verkauft, was zu einem komplexen Geflecht überlappender Herrschafts- und Besitzverhältnisse führte.
Vereinigung auf einen Zweig
Christoph Daniel von der Schulenburg (1679–1763), der als General in sardischen Diensten ein beträchtliches Vermögen erworben hatte, nutzte seine finanziellen Ressourcen gezielt zur Rückführung der zersplitterten Familiengüter in Angern. Im Jahr 1735 erwarb er zunächst den Burghof sowie die Anteile der Witwe und der Söhne seines Bruders Heinrich Hartwig von der Schulenburg für 34.036⅔ Reichstaler und sicherte sich damit den Besitz des jüngeren Zweigs. Drei Jahre später, 1738, folgte der Ankauf von Gut Vergunst samt dem sogenannten „Alt-Hansens-Teil“ von Graf Adolf Friedrich von der Schulenburg aus der Beetzendorfer Linie für 50.000 Reichstaler. Durch diese beiden gezielten Erwerbungen vereinte Christoph Daniel erstmals seit Jahrhunderten alle drei vormals getrennt geführten Besitzkomplexe – Burghof, Alter Hof und Gut Vergunst – unter einer einheitlichen Herrschaft. Um diesen Status dauerhaft zu sichern, stiftete er den vereinigten Besitz als Fideikommiss, sodass das Gut als unteilbares Familienvermögen über Generationen weitervererbt werden konnte.
Konsolidierung und Niedergang einzelner Linien
Kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg erlebte der weiße Stamm seine größte Ausdehnung: Die ältere Linie war u. a. auf Osterwohle, Hehlen und Angern-Vergunst vertreten; die mittlere Linie auf Reinsdorf, Schochwitz und Erdeborn; die jüngere Linie auf Altenhausen, Emden und Burg Angern. Doch dieser Höhepunkt markierte auch den Wendepunkt.
Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts begannen mehrere Linien zu erlöschen oder ihre Anteile an zentralen Gütern aufzugeben. So trat der Zweig Burgscheidungen der jüngeren Linie aus dem Mitbesitz von Angern aus. Die mittlere Linie erlosch schließlich Anfang des 19. Jahrhunderts bis auf einen verbliebenen Ast. Die ältere Linie hingegen vermochte es, nach Jahrhunderten der Aufsplitterung wieder eine Konsolidierung herzustellen: Ihr verbliebener Ast auf Hehlen und Osterwohle vereinigte erneut Anteile an Beetzendorf und Angern.
Fazit
Die Geschichte des weißen Stammes der Schulenburgs steht exemplarisch für die langfristigen Transformationen des Adels im Heiligen Römischen Reich: von gemeinschaftlichem Rittergut hin zu individualisierten Landesherrschaften, von kooperativer Lehnsgemeinschaft hin zu territorialer Fragmentierung – und in Teilen wieder zur Rekonsolidierung. Die genealogische Aufspaltung nach 1448 war nicht nur Ausdruck familiärer Multiplikation, sondern zugleich ein Katalysator für politische Diversifizierung, ökonomische Differenzierung und regionale Machtverschiebungen innerhalb einer der bedeutendsten Adelsfamilien der Altmark.